Dr. Werner Nohl · Landschaftsarchitekt · Honorarprofessor (TU München)

Schon wieder: Eine zweigleisige Straßenbahn durch den Englischen Garten in München?

(Bearbeitungsstand: Januar 2024)

 

Werner Nohl

 

 

Vor knapp 20 Jahren wollten die Stadtwerke München - nicht zum ersten Mal in den letzten 100 Jahren - eine zwei-gleisige Straßenbahn quer durch den einzigartigen, 200 Jahre alten Englischen Garten in München führen. Die Genehmigungsbehörde hatte damals dieses Ansinnen abgelehnt, weil dadurch der Englische Garten als bedeutsamer Erholungsraum wie vor allem auch als weltberühmte und denkmalgeschützte Parkanlage zerstört worden wäre (vgl. auch mein Gutachten von 2000 auf meiner Homepage, s.u.). Die Stadtwerke interpretierten die Ausführungen der Genehmigungsbehörde verengend dahin gehend, dass insbesondere die notwendige „Verdrahtung“ (Oberleitung) und die Vielzahl der Masten den außerordentlichen Denkmalwert des Gartens zerstören, und die notwendigen Baumfällungen irreversible Umweltschäden nach sich ziehen würden.

Nachdem nun zwischenzeitlich ein Straßenbahntyp möglich wird, der auf begrenzten Strecken batteriebetrieben operieren kann, versuchen die Stadtwerke heute erneut, ihr altes Ziel einer Straßenbahn durch den Englischen Garten zu verwirklichen. Dabei interessiert sie offensichtlich weder der einmalige kulturelle Wert des Englischen Gartens und seine touristische Bedeutung für die Stadt München noch die Tatsache, dass es eine Reihe realistischer Alternativen für eine Straßenbahnlinie im Sinne einer „Nordtangenten“ gibt, die Tram durch den Englischen Garten  also auch aus verkehrlicher Sicht gar nicht notwendig ist.

Um das Vorhaben der Stadtwerke besser einschätzen zu können, sind im Folgenden eine Reihe von Konflikten, Kritikpunkten und Lösungsansätzen zusammengestellt.

  

A. ZU ERWARTENDE BEEINTRÄCHTIGUNGEN UND   KONFLIKTE

ERHOLUNGSASPEKTE

Þ     Der Englische Garten ist das Herzstück des Münchener Grünflächensystems (Er wird von 60.000 bis 90.000 Besuchern an sonnigen Sommertagen aufgesucht. 50 % aller Besucher des Engl. Gartens leben in der unmittelbaren Umgebung des Parks (in Schwabing, Max-Vorstadt, Lehel, Altstadt)

 

Þ     Kernproblem einer Straßenbahn im Englischen Garten im Hinblick auf Freizeit und Erholung: Das Leben in den heutigen großen Städten zeichnet sich dadurch aus, dass überall im Straßenraum höchste Wachsamkeit und ungeteilte Aufmerksamkeit notwendig ist, wenn man gefahrlos und unbeschadet existieren will. Der Aufenthalt in den Städten verlangt heute von den Bewohnern in vielen Bereichen hochgradige Vigilanz. In Parkanlagen können die Bewohner dagegen davon ausgehen, dass sie folgenlos abschalten und „sich gehen lassen“ können, dass sie dösen, tagträumen, sich völlig entspannen und ihren Gedanken nachhängen können. Bei einer solchen parktypischen Erwartungshaltung, in der nicht mehr die Menschen die Dinge aktiv im Griff haben müssen, sondern zulassen können, von den Dingen in „andere Welten“ gelockt und entführt zu werden, wirkt die Errichtung einer Straßenbahn im Englischen Garten geradezu zerstörerisch mit möglicherweise tödlichen Folgen. Das ist vor allem mit Blick auf Kinder und alte Menschen zu bedenken.

 

Þ     Daher hinkt auch der Vergleich der geplanten Tram durch den Englischen Garten mit der Straßenbahn auf der Perusa-Straße (Fußgängerstraße in der Altstadt). Denn die Menschen auf der Perusastraße wissen, dass sie sich mitten im Altstadtgetümmel befinden und sind entsprechend alert und wachsam. Im Englischen Garten aber gehen die Menschen davon aus, dass sie sich im Schonraum einer naturnahen Parkanlage befinden und sind daher entsprechend hypovigilant (tiefenentspannt), also in einem völlig relaxten und gegenüber Umweltgefahren völlig arglosen Zustand. Und genau dieser hypovigilante Zustand ist die Voraussetzung für eine effektive Erholung.

 

Þ     Es ist davon auszugehen, dass viele Menschen - insbesondere anliegende Bewohner - die sich mit dem Bau der geplanten Tram einstellenden Veränderungen in ihrer heimatlichen Umwelt als belastende und oftmals krank machende Verlustgefühle erleben werden. Mit Blick auf den von der WHO vorgenommenen erweiterten Gesundheitsbegriff werden seit einigen Jahren solche psychischen Beschwerden als solastalgisch bedingte Belastungen angesehen, die häufig dann entstehen, wenn Menschen Zerstörungen an dem Ort, den sie lieben, sozusagen in der eigenen Heimat miterleben müssen. (Vgl. z.B.  Albrecht, G.: Solastalgia: a new concept in human health and identity. In: PAN - Philosophy, Activism, Nature -, Issue 3: 41–55, 2005)

 

NATUR- UND DENKMALSCHUTZASPEKTE

Þ     Der Englische Garten ist nach dem Bayerischen Denkmalschutzgesetz wegen seiner geschichtlichen, künstlerischen und wissenschaftlichen Bedeutung als Baudenkmal geschützt und in die Denkmalschutzliste eingetragen.

Þ     Nach dem Bayerischen Naturschutzgesetz ist er als Landschaftsschutzgebiet festgesetzt, wobei nach § 3 der Landschaftsschutzverordnung ausdrücklich verboten ist, „den Naturgenuss zu beeinträchtigen oder das Landschaftsbild zu verunstalten“.

Þ     Mit der Unterschutzstellung des Englischen Gartens nach dem Natur- und dem Denkmalschutzgesetz macht der Gesetzgeber deutlich, dass Eingriffe in Natur und Landschaft sowie in die Gartenanlage als Denkmal und Gartenkunstwerk nicht statthaft sind, insbesondere dann, wenn sie von erheblicher Wirkung sind.

Þ     Es war die geniale Idee des Erbauers des Englischen Gartens, Fr. L. von Sckell, den Garten mit einem ausgeklügelten System begehbarer Landschafts- oder Stimmungsbilder auszustatten, also mit großen und kleinen Räumen, die die Menschen sich in abwechslungsreichen Erlebnissen erwandern können.

Þ     Darüber hinaus entwarf Sckell für diesen Garten das Programm eines Volksgartens, das richtungsweisend für die ganze demokratische Volksparkbewegung in den deutschen und europäischen Großstädten der folgenden Jahrhunderte wurde (Englischer Garten als Realdokument). Es ist eine einzigartige, demokratische Vision der Parknutzung, die dieser begnadete Mann schon vor 200 Jahren im Englischen Garten verwirklichte.

Þ     Mit dem Bau der Straßenbahn durch den südlichen Bereich des Englischen Gartens, den Sckell als das Herzstück des Gesamtparks betrachtete, würde dieser Kernbereich in zwei separate Teile zertrümmert, würde der Garten als historisches Realdokument der „begehbaren Stimmungsbilder“ ein für alle Mal zerstört werden.

Þ     Die Tatsache, dass der jetzige Entwurf der Stadtwerke die Auslagerung des Fußgängerverkehrs in Längsrichtung in die angrenzenden Parkteile vorsieht, zieht einen gravierenden Eingriff in die historische Denkmalgestalt des Englischen Gartens nach sich. Für Sckell stellen die Fußgänger auf der Fahrstraße eine wesentliche Nutzergruppe dar. Denn: gerade auf den Wegen findet in der Regel der „trauliche und gesellige Umgang und Annäherung aller Stände“ (Sckell, 1825) statt. Die separierende Auslagerung der Fußwege konterkariert Sckells historisch einzigartiges Volksgartenprogramm.

Þ     Kein Museumsleiter käme aus einer praktischen Notlage heraus auf die Idee, ein wertvolles Gemälde in zwei Teile zu zerlegen, um es dann dem Publikum mit Klebestreifen quer über die Leinwand zu präsentieren. - In ihrem reduktionistischen Kulturverständnis glauben aber die Verkehrsstrategen der Stadtwerke München beim Englischen Garten, der zu den kühnsten Parkschöpfungen dieser Welt gehört, sich einen solchen Frevel leisten zu können.

 

TOURISMUSASPEKTE

Þ     Der Englische Garten in München besitzt einen hohen Bekanntheitsgrad. Er zählt neben dem Central Park in New York und dem Hyde Park in London zu den weltweit bekanntesten innerstädtischen Gartenanlagen im landschaftlichen Stil.

Þ     Damit ist er eine einzigartige touristische Destination und ein Alleinstellungsmerkmal der Stadt München, die sich durch ihn gegen viele touristische Wettbewerber wirtschaftlich abhebt.

Þ     Eine Straßenbahn durch den Englischen Garten bliebe nicht ohne Folgen für einen möglichen Eintrag in die Weltkulturerbeliste. Die Diskussion um die Waldschlösschenbrücke im Elbtal bei Dresden hat gezeigt, dass bei derartig harten Eingriffen, wozu auch die Straßenbahn zählen würde, ein Eintrag in diese Liste in Zukunft nicht mehr möglich sein wird.

 

VERKEHRSASPEKTE

Þ     Bedeutung der Busstraße für die Parkbenutzer: Die heutige Bus-Trasse (Thiemestr.-Königinstr bis Tivolistr.-Oettingenstr.) ist ein zentraler Fuß- und Radweg im Englischen Garten. Auf ihr bewegen sich viele Fußgänger und Radfahrer, schon weil über sie der Biergarten (mit 7.000 Sitzplätzen!) am Chinesischen Turm erreichbar ist.

Þ     Busstraße und ihre Querwege: Die Busstraße wird von 7 Fuß- und Radwegen gekreuzt, weitere 11 münden auf sie ein. Diese vielen fußläufigen Verbindungen sind inkompatibel mit einer Straßenbahn. - Die Verbannung des Fußgängerverkehrs von der geplanten Straßenbahntrasse und seine Verlagerung auf neu zu schaffende aber abseits gelegene Wege beiderseits der Tramtrasse, wie im aktuellen Plan der MVG vorgesehen, führt zu vehementen Eingriffen in den historischen Skell’schen Entwurf dar.

Þ     Verbreiterung der Trasse: Beim Bau der geplanten zweigleisigen Tram durch den englischen Garten ist eine erhebliche Verbreiterung der Straße notwendig, denn auf der Straße müssen sich Fußgänger, Radfahrer, Rettungsdienste, Taxis, Busse und Straßenbahnen bewegen können. Tatsächlich sieht die jetzt favorisierte Variante eine Regelbreite von 9,50 m vor, während die bisherige Bustrasse mehr oder weniger 7.00 m breit ist!

Þ     Fahrbahnbefestigung: Ebenso ist eine durchgehende tiefgründige Fahrbahnbefestigung notwendig. Es wird eine breite Betontrasse mit befahrbarer Oberfläche errichtet werden müssen. (Eine Straßenbahn im Rasenbett, wie sie die suggestive Fotosimulation etwa in der Süddeutschen Zeitung vom 5./6. August 2017 zeigt, ist nicht möglich.). Das alles macht erhebliche Eingriffe in Boden, Vegetation (z.B. Baumfällungen) und in die Denkmalsubstanz (z.B. Neuanlage von historisch nicht vorgesehenen Fußwegen).

Þ     Länge von Straßenbahnen und Bussen: Busse sind 12 m, mit Hänger 18 m lang; die Straßenbahnen sind 27 m lang, die dreigliedrigen 36 m lang. Schon wegen dieser größeren Länge, aber auch wegen der schienengebundenen, starren Vorwärtsbewegung) sind die Straßenbahnen die gefährlicheren Objekte für Fußgänger und Radfahrer. Übrigens: trotz dieser deutlichen Längenunterschiede besitzen Straßenbahnen gegenüber Bussen nur eine 1,6-fache Fahrgastkapazität.

Þ     Bremsweg von Tram und Straßenbahn: Der Bremsweg einer Straßenbahn, die mit 30 km/h durch den Englischen Garten fährt, ist etwa so lang wie der eines Busses, der sich mit 50 km/h bewegt.

Þ        Straßenbahnunfälle:                                                                                                  (a) Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. schreibt 2016 unter Bezug auf eine umfassende Untersuchung der Bauhaus Universität Weimar über Straßenbahnunfälle: „Straßenbahnunfälle sind insgesamt deutlich schwerer als Unfälle mit PKW und Bussen."                                                                            

     (b) Das gilt zweifelsohne auch für die geplante Straßenbahn durch den Englischen Garten, deren Trasse sich durch viele Knoten (Querwege, Wegeeinmündungen - s.o.) auszeichnet: „Die Mehrzahl der Straßenbahnunfälle mit Personenschaden ereignet sich in Knotenpunkten und deren direktem Einflussbereich …“.                                                                                                                  (c) Der Gesamtverband weist des weiteren darauf hin, dass „Bahnkörper in Mittellage deutlich unsicherer, als Bahnkörper in Seitenlage oder unabhängige Bahnkörper sind.“ Aber genau eine solche gefährliche Straßenmittellage sieht der jetzige Straßenbahn-Entwurf durch den Englischen Garten vor. Die geplante Straßenbahn stellt also einen hochgefährlichen Eingriff in den Englischen Garten dar. (Alle Zitate aus: „Unfallforschung kommunal“ des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V., Nr. 25, Mai 2016)                                                                                                                

      (d) Nun beziehen sich die Befragungsergebnisse, die den Einschätzungen der Deutschen Versicherungswirtschaft zugrunde liegen, auf öffentliche Straßen, nicht dezidiert auf Straßen in Garten- und Parkanlagen. Aber in letzteren - und damit auch im Englischen Garten - ist die Gefahr, in Verkehrsunfälle verwickelt zu werden, um ein Vielfältiges größer, weil sich die Besucher hier in der Regel durch ein entspanntes (hypovigilantes) Verhalten (s.o.) auszeichnen. Es wäre leichtfertig, die referierten Hinweise der Versicherungswirtschaft bei der Planung einer Tram durch den Englischen Garten nicht zu beachten.                                                                 

Þ     Straßenbahndichte: Würde die Straßenbahnlinie durch den Englischen Garten realisiert, dann müssten Parkbesucher, also im wesentlichen Fußgänger und Radfahrer, in den Hauptverkehrszeiten damit rechnen, im Durchschnitt alle 2,5 Minuten auf der Fahrstraße einer Straßenbahn zu begegnen. Dazu kommen drei Buslinien, wozu auch die neuen Metrobusse der Linie 68 bzw. 58 zählen. - Schon heute: Ein erhebliches Gefahrenpotential.

Þ     26 Straßenbahnzüge mit Batterie notwendig: Bei dieser vorgesehenen Taktdichte der Straßenbahnen sind etwa 26 Straßenbahnzüge mit Batterien zur kontinuierlichen Befahrung der „Nordtangente“ notwendig. Die sich vom Romanplatz bis St. Emmeran erstreckende Nordtangente ist etwa 13 km lang, die Strecke im Englischen Garten, auf der die Batterien zur Anwendung kommen sollen, besitzt jedoch nur eine Länge von 900 m. Das sind lediglich 7% der Gesamtstrecke. Um diese kurze Strecke mit Batterie zu bewältigen, müssen auf der gesamten Nordtangenten ständig 26 Straßenbahnzüge mit schweren Akkus im Einsatz sein (zusätzliche Belastung von Stadtstraßen, Brückenbauwerken).

Þ     Neue Brückenbauwerke im Englischen Garten: Mit der zweigleisigen Straßenbahn durch den Englischen Garten werden 2 neue Brückenbauwerke im Park notwendig (Brücken über den Schwabinger und den Oberjägermeisterbach). Die Errichtung dieser neuen Brückenbauwerke ziehen irreversible erhebliche Eingriffe in Boden, Wasser und Vegetation, aber auch in die historische Substanz der Gartenanlage nach sich. Zugleich geht historisch-parktypisches Brückendesign verloren.

 

B.  ZUSAMMENFASSENDES ERGEBNIS DER OBIGEN BEEINTÄCHTIGUNGS- UND    KONFLIKTANALYSE

Die in der vorstehenden Beeinträchtigungs- und Konfliktanalyse angesprochenen quantitativen und qualitativen Veränderungen, die die geplante zweigleisige Straßenbahn im Englischen Garten nach sich zieht, basieren auf Eingriffen, die den Englischen Garten als Gartendenkmal, als städtischen Erholungsraum und als Naturerlebnisraum in ganz erheblicher Weise beeinträchtigen und zerstören werden.


Quantitativer Aspekt                                                                                                       Mit der Verwirklichung der zweigleisigen Tramlinie durch den Englischen Garten wird für die Trassenführung bei etwa 900 m Straßenlänge und 9,50 Regelbreite eine Parkfläche von etwa 9.000 m² in Anspruch genommen und einer parkfremden Nutzung (Straßenbahn) zugeführt. Dieser unwiederbringliche Verlust an Gartenfläche stellt einen gewaltigen, nicht kompensierbaren und damit ganz erheblichen quantitativen Eingriff in den Englischen Garten dar, der den Park nicht nur in isolierte Teile zerstückelt, sondern auch eine große Gefahr für Leib und Leben der Parkbesucher darstellt. Der Flächenverlust ist auch deshalb so tragisch, weil er nicht an einer relativ belanglosen Stelle des Parks - z.B. irgendwo am Parkaußenrand stattfindet; vielmehr geschieht die Flächenentnahme mitten im historisch besonders relevanten, südlichen  Parkteil, wodurch die Einheit des Sckellschen Gartenkunstwerks irreversibel zerstört wird, und die Naturzusammenhänge und der Bewegungsraum der Nutzer nachhaltig zerschnitten werden.


Qualitativer Aspekt:                                                                                                                                                        Um die Flächenansprüche der verschiedenen Verkehrsarten wie Straßenbahn-, Fahrrad-, sporadischer KFZ-Verkehr (Krankenwagen, Polizei, Lieferfahrzeuge u.a.) zu berücksichtigen, sieht der vorgelegte Entwurf eine Trasse vor, die - trotz paralleler Engführung der Verkehre - zu einer ausladenden Breite führt, die völlig untypisch für den englischen Garten ist. Für die sinnliche Wahrnehmung, die allem Erleben und Genießen von Gartengestalt und Natur zugrunde liegt, führt ein solcher, einzig der technischen Machbarkeit geschuldeter Entwurf zu einer gleichförmig verstetigten Trassenführung, die damit eine alles dominierende, monotone Schneise in das vielfältig-naturbestimmte Gartendenkmal schlägt. Damit wird der Sckellsche Entwurf, der selbst noch im Hinblick auf seine Fahrwege dem Prinzip der welligen Schönheitslinie der Natur folgt, im Herzstück des Gartens ad absurdum geführt. Unter dem unerbittlichen Diktat des doppelten Straßenbahngleises entsteht so ein Entwurf, der dem Park als Gartendenkmal, als Erholungsraum und als Naturerlebnisraum einen weithin sichtbaren, irreparablen Schaden von besonderer Erheblichkeit zufügt.

 

C. ELEKTROBUS STATT STRASSENBAHN

 Verfolgt man die gesamte ökologische und ästhetische Belastungskette, dann stellt der Elektrobus im Vergleich mit der Straßenbahn die deutlich geringere Umweltbelastung dar.

Þ     Die Elektrobusse sind kürzer, beweglicher, ökologisch verträglicher und bremstüchtiger als Straßenbahnen, und wären daher die derzeit sinnvollste Lösung.

 

Þ     Ökologisch besonders bedenklich ist, dass 26 Straßenbahnzüge mit starkgewichtigen Akus ständig die gesamte Nordtangente befahren werden, obwohl die Batterien nur der Überwindung des Englischen Gartens an seiner Schmalseite dienen.

 

Þ     Schon die bestehenden Buslinien durch den Englischen Garten können aus den oben dargelegten Gründen nur als ein Provisorium gelten. Um auch in diesem Übergangszustand die Belastungen für die Parkbesucher so gering wie möglich zu halten, und auch die Vorteile des Englischen Garten für zukünftige Stadtbewohner zu bewahren, sind Straßenbahnen aus den genannten Gründen ungeeignet. Stattdessen sollten die derzeitigen Dieselbusse möglichst rasch gegen klimafreundlichere Elektrobusse ausgetauscht werden.

 

 D. SCHWACHSTELLEN IN DER PLANUNGSLOGIK

Þ     Es ist geradezu absurd, den Südteil und den Nordteil des Englischen Gartens durch Untertunnelung des Mittleren Rings - wie geplant - wieder zu vereinen (Gottseidank!), aber gleichzeitig den Südteil - das historische und rekreative Herzstück des Englischen Gartens - durch den geplanten doppel-spurigen Bau der Straßenbahn in zwei separate Teile zu zerlegen und zu zerschlagen. - Was für eine krude Planungslogik!!!

  

Þ     Macht des Faktischen: Wenn nach dem Bau der Straßenbahn die ersten Unfälle passieren, wird niemand mehr - schon wegen der hohen Baukosten und des politischen Prestigeverlustes - die Straßenbahn abbauen wollen, dann werden - davon kann man mit Sicherheit ausgehen - schon aus versicherungstechnischen Gründen Zäune rechts und links der Trasse mit nur wenigen Durchlässen errichtet werden. Das ist die Macht des Faktischen! Dann ist es vorbei mit den frei "begehbaren Landschaftsbildern", wie sie Sckell so genial ersonnen und im Englischen Garten verwirklich hat. - Wie rigoros durch solche Umlaufsperren der Zugang zum Garten verriegelt wird, kann an der Oettingenstraße schon heute in Augenschein genommen werden.

 

Þ     Irriges (Straßenbahn-)Netzdenken: Bei genauem Hinsehen zeigt sich also, dass den Stadtwerken die Sachargumente für die Notwendigkeit einer Straßenbahn durch den Englischen Garten als Beitrag zu einem effizienten, stadt- und regionswirksamen Verkehrsnetz fehlen. Statt eine Sachdiskussion über Sinn und Zweck einer Tram durch den Englischen Garten zu führen, überschüttet die MVG die Anlieger und Stadtbewohner mit einem Wust an Detaildaten und Bildern, immer suggerierend, dass die grundsätzliche Entscheidung für den Bau der Straßenbahn schon gefallen sei. So tritt an die Stelle rationaler Entscheidungen magisches Denken, und das nennt man in den psychologischen Wissenschaften Fetischismus. Wir brauchen aber im Englischen Garten keinen Netzfetischismus sondern eine behutsame, umweltfreundliche Verkehrslösung, die möglichst wenig in das einzigartige Denkmal und den unbezahlbaren Erholungsraum der Menschen eingreift.

 

E. ALTERNATIVEN FÜR EINE NORDTANGENTE

Wenn denn eine Straßenbahn im Sinne einer Nordtangenten (ein fragwürdiges Konzept etwa im Hinblick auf die städtebauliche Erschließung des Münchener Nordostens) überhaupt notwendig werden sollte, dann bieten sich zum Schutz des Englischen Gartens mehrere Alternativen an:

Þ     (a) Die Straßenbahn unterquert den Englischen Garten im Tunnel des Mittleren Ringes, mit dessen Realisierung in wenigen Jahren zu rechnen ist;

 

Þ      (b) Die Straßenbahn wird über den Frankfurter Ring geführt und weiter in Richtung St. Emmeran, wie vor einiger Zeit von Dorothea Wiepcke, Stadträtin, vorgeschlagen;

 

Þ     (c) Es wird eine Untertunnelung des Englischen Gartens im Bereich der heutigen Bus-Trasse für Straßenbahn und Busse angestrebt (Vorschlag der Architekten Grub & Lejeune).

 

Alle drei Alternativen beinhalten - und das ist ihr großer Vorteil -, dass auch die jetzigen Buslinien durch den Englischen Garten im Prinzip aufgehoben werden können. (Es sei daran erinnert, dass im Vertrag von 1934 zwischen dem bayerischen Staat und der Stadtgemeinde München den Stadtwerken die Benutzung der Omnibustrasse für die Personenförderung mit dem Zusatz der Widerruflichkeit gestattet wurde!) Bis zu diesem Zeitpunkt, an dem im Sckell’schen Sinne durch Verwirklichung einer der Alternativen der gesamte Englische Garten an die Fußgänger und Radfahrer zurückgegeben werden kann, sind die derzeitigen Dieselbusse umgehend durch Elektrobusse als „kleineres Übel“ zu ersetzen.

Um den Bau einer Straßenbahn durch den Englischen Garten in seiner ganzen Tragweite einschätzen zu können, müssen wir uns verdeutlichen, dass die 1934 gewährte Bauerlaubnis einer Fahrstraße durch den Park nach heutigem Planungsverständnis bereits einen erheblichen Eingriff in das Gartenkunstwerk darstellt, der allerdings mit vertretbarem Aufwand grundsätzlich wieder rückgängig gemacht werden könnte. Das stellt sich anders dar, wenn die jetzt vorgesehene, erheblich breitere Straßenbahntrasse als tief gegründetes Beton- und Asphaltbett errichtet wird. Denn damit wird der Englische Garten irreversibel in isolierte Teile zerschnitten. Es muss aber möglich bleiben - und darauf weist die Widerruflichkeitsklausel von 1934 hin -, dass bei veränderter Sachlage und veränderter politischer Willensbildung die Busstraße irgendwann in der Zukunft (etwa mit der vorgesehenen Untertunnelung des Mittleren Rings) wieder aufgehoben und in den Garten entsprechend seiner alten Bedeutung wieder integriert wird. Mit der geplanten Straßenbahntrasse wäre aber ein solcher Rückbau für die Zukunft ein für allemal ausgeschlossen.

                                          ***


Übrigens: Der Central Park in New York – mit 3,41 km² nur geringfügig kleiner als der gesamte Englische Garten (Südteil und Nordteil) in München (3,75 km²) – ist seit 2018 aus Natur-, Umwelt- und Gesundheitsgründen von allem Pkw- und Busverkehr, soweit dieser auf parkeigenen Trassen in der Vergangenheit zugelassen wurde, komplett autofrei (Straßenbahnen gibt es in New York nicht). Der Park ist damit in seiner Gänze allein den Fußgängern, Radfahrern und anderen eigenmobilen Parkbesuchern vorbehalten. - Bill de Blasio, der damalige New Yorker Bürgermeister, meinte dazu: „Our parks are for people, not cars. For more than a century, cars have turned parts of the world’s most iconic park into a highway. Today we take it back. We are prioritizing the safety and the health of the millions of parents, children and visitors who flock to Central Park.” (https://www.nyc.gov/office-of-the-mayor/...)

Was New York 2018 im Central Park rückgängig gemacht hat, das darf aus Achtung vor der Natur und den Menschen im Englischen Garten in München erst gar nicht entstehen. Deshalb ist eine Straßenbahn durch den Englischen Garten grundsätzlich abzulehnen.

 

 

 


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